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Von Rihis gerechtem Atem, so erzählt die Legende, wurde einst der Brandung Urdaniens Leben eingehaucht. Rihis selbst sei dem Königreich Kolun erschienen und habe seine Prophezeiung verbreitet, denn Rihis sprach...
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„Das Volk derer,
die im Schatten des Fermalinus leben,
wird wandern. Und die Kinder des Ostens
werden sich mischen mit den Wesen des Waldes.
Die Söhne Vairayanas und die Töchter Cobhars
ziehen ein in das Lande Kolun
und sollen empfangen werden,
denn sie werden das Wunder sehen und...
wirken, dass ein neues Volk
aus dem Schoße Amanitas,
des Geschlechts der Fenak, entspringt.
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Doch das Heil soll den Kindern Vairanak,
denn so soll das Volk heißen, nicht widerfahren,
ehe nicht die Schwestern ihren Weg gefunden haben.
Denn zerstreut werden sie sein...
und bis auf Wenige von Mirimotha getilgt.
Von den Kreaturen,
die noch nicht sind doch sein werden,
soll das Geschlecht der EINEN zerstört und,
bis die Schwestern hervortreten,
die Erinnerung an die altehrwürdigen Tage
versiegelt werden.
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Vergessen werden sie finden,
die fliehenden Mütter und Väter der ANDEREN.
Und man wird sich erst wieder ihrer erinnern,
wenn SIE die Höhlen der Zeit verlässt.
Dann bald werden sie Schwestern sein,
die Ungestüme und die Reine.
Sie werden es sein,
wenn der Krieg der Völker in neuen Flammen lodert...“
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Und Rihis zog nach Urdanien, während in Kolun großes Wehklagen begann, um aus der Quelle seiner Schöpferkraft darzubringen, was in seinem Vermögen stand.
Auf sein Geheiß hin entstieg Kandroma Abhysheka, von einem feurig ästhetischen Brodeln umhüllt, dem Meerschaum, bereit, ihrer Bestimmung zu folgen; dem Ruf Rihis.
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Von unvergleichbarer Schönheit, erzählen Männer so wie Frauen mit Sehnsucht in ihren flüsternden Stimmen an den Lagerfeuern, soll sie gewesen sein.
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Ihre Haut strahlend weiß wie die Schaumkronen der aufbrechenden Wellen, ihr golden anmutendes Haar in ständig rauschender Bewegung der Brandung gleich.
Klare, blaue Augen, unverschleiert und mit der Tiefe des Meeres, die in ihrem Farbenspiel facettenreich vom Träume erweckenden Azur bis zum alles verschlingenden Schwarz eines vom Nachtorkan heimgesuchten Ozeans reichten, nahmen ihre Umgebung stets bewusst wahr.
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So wie ihr Blick Segen zu spenden wusste und Schmerzen aufzehren konnte, so vermochte er einem auch die Seele aus dem Leib zu reißen, wenn man ihre Erzürntheit beschwor.
Denn Rihis hatte ihr aufgetragen, die Wesen Mirimothas vor der drohenden Dekadenz zu bewahren, die sich in ihren Geist zu fressen und sie von innen heraus zu entwürdigen wusste. Daher zählte es zu ihrer Gabe, die Seele eines befallenen Geistes zu erlösen.
Nur einiges Getier wurde Zeuge, als die Brandung plötzlich anschwoll und wie unter Geisterhand die um sich greifende Gischt auf den Kämmen der gärenden Wassermassen zu einer schemenhaften Gestalt erwuchs.
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Einem Instinkt folgend zog es sie zur Küste, fast so als sei es, um der sich aus dem Dunst lösenden Kreatur aufzuwarten, als sie ihren ersten Schritt über die scharfkantigen Steine der Klippen hinweg auf Urdaniens Boden setzte. Die Tiere wunderte es dabei nicht, dass das weibliche Wesen die Steine beim Überschreiten nicht zu berühren schien.
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Erst auf dem schlammigen Ufergrund sanken ihre blanken Füße auf den Boden, doch die Spur, die sie dabei hinterließ, war nicht tiefer als die zarten Abdrücke der Graswiesen-schlangen, die sich zu ihrer Begrüßung eingefunden hatten und die sich nur durch ihre schlängelnde Form von ihrer eigenen, ovalen Prägung unterschied.
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Sicheren Fußes führte sie ihr Weg direkt nach Sutranien, wo sie auf den Geist der Welt traf.
Mit dem Glitzern eines traumhaften Blaus in den Augen, vergleichbar dem Anblick des anmutigen Strandes Lardikias, trat sie auf ihn zu.
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„Seid gegrüßt, Lady Abhysheka, ich habe Euch erwartet.... Ihr seid... zu früh.“
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In förmlicher Manier verneigte sich der Geist vor Kandroma und deutete ihr an, an seinem bescheidenen Ort des mentalen Rückzuges zu lagern.
Sanft wie eine von einem Kiesel verursachte Welle auf einer unberührten Wasseroberfläche erreichte ihn ihr Lächeln und sie nickte leicht.
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„Dann ist er noch nicht da?“ Ohne die Spur einer Bewertung in der Stimme blickte sie ihm immer noch lächelnd entgegen.
Mehr als eine kurze, verneinende Geste bedurfte es nicht, und so nahm sie bei dem Wesen, welches die einen fürchteten und die Verräter lästerten, Quartier, um zu warten.
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